„Lernen und Vielfalt wieder zulassen!“
Category : Allgemein
Zu wenig Anreize, fehlende Preisschilder für Schadstoffe und Emissionen – die Bürgerenergie hatte in den letzten vier Jahren mit einigen Benachteiligungen zu kämpfen, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Nina Scheer. Ob „Prosumer“ oder klassische Genossenschaft: Die Politik muss bei den Projekten wieder Vielfalt und Lernprozesse ermöglichen.
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Von der klimaretter.info-Redaktion
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Die promovierte Politikwissenschaftlerin Nina Scheer, seit 2013 im Bundestag, ist Ansprechpartnerin für erneuerbare Energien und Umweltwirtschaft der SPD-Fraktion und seit 2010 Vorstand der Hermann-Scheer-Stiftung.
klimaretter.info: Frau Scheer, die Bürgerenergie – dezentral, demokratisch und ökologisch – gilt als Herz der Energiewende. Das schlägt inzwischen aber nicht mehr richtig. Was muss politisch passieren, damit sich das wieder ändert?
Nina Scheer: Dazu braucht es vor allem Anreize, damit die Energie vor Ort wirtschaftlich genutzt werden kann, sowohl durch Kommunen und Stadtwerke als auch durch Bürgerinnen und Bürger und ihre Verbünde. Diese Anreize müssen flexible Stromangebote, Speicher und Netze einbeziehen und auch sektorenübergreifend sein, sonst kann die Rechnung nicht aufgehen.
Damit Wirtschaftlichkeit und Markt aber richtig funktionieren können, müssen erst einmal auch sozial-ökologische Voraussetzungen geschaffen werden. Dazu gehören für mich eine angemessene Bepreisung von Schadstoffen oder anderweitige Maßnahmen, die das Emittieren unterbinden.
Dass Erneuerbare die Zukunft darstellen und wir die Bevorzugung fossiler Energien beenden müssen, indem deren Umweltlasten stärker berücksichtigt werden, ist schon ein Allgemeinplatz. Dennoch geht es nicht voran – woran liegt es?
Es gibt massive Bestrebungen, den Ausbau der Erneuerbaren zu bremsen. Seit diese weltweit als unausweichlich und attraktiv erkannt werden, will allerdings keiner mehr offen gegen die Energiewende wettern – stattdessen entsteht ein eigenes sogenanntes Wording.
So wurde vor knapp zehn Jahren die Atomkraft als vermeintliche Brückentechnologie wiederbelebt. Das konnte nur durch Fukushima enttarnt werden. Später wurde eine Kostendebatte zulasten der Erneuerbaren inszeniert, dann die Angst vor fehlenden Stromnetzen geschürt – nun bahnt sich eine neue Debatte unter dem Begriff „Efficiency first“ an.
Geht es beispielsweise um den Einsatz von Wasserstoff für Mobilität, könnte mit „Efficiency first“ argumentiert werden, dieser sei vergleichsweise ineffizient. Das bringt aber eine technologische Verengung mit sich. Eine Bewertung nach „Efficieny first“ kann also genau das Gegenteil dessen bringen, was für die Energiewende gebraucht wird. Wir sollten deswegen von Effektivität sprechen – dann wird es gelingen, aller Faktoren einzubeziehen, auch bei den Akteuren.
Dennoch scheint die Mehrheit der Leute wenig an der Energiewende interessiert.
Wenn die Menschen ständig gesagt bekommen, dass die Veränderungen um sie herum teuer, verkehrt und unnütz sind, werden diese Veränderungen erschwert oder bekämpft. Die laufende Akzeptanz-Debatte ist sicher auch Folge dieser Entwicklung.
Für eine erfolgreiche Abkehr vom fossilen Energiesystem brauchen wir massive Struktur-, Investitions- und Qualifikationsprogramme, die den Menschen und Regionen des Wandels nutzen. Insofern kann auch das von Martin Schulz vorgeschlagene „Arbeitslosengeld Q“ einen wichtigen Anknüpfungspunkt bieten, am besten in Kombination mit einer wirksamen Schadstoffbepreisung.
Das letzte energiepolitische Vorhaben dieser Legislatur ist das Mieterstromgesetz, dass auch der Bürgerenergie auf die Beine helfen kann. Wird das Gesetz in den verbleibenden vier Sitzungswochen noch beschlossen?
Es sieht ganz danach aus, dass dies gelingt. Aber auch die Ausgestaltung wird von Bedeutung sein. Wir werden sehen, was gelingt.
Den einen Weg für die Zukunft der Bürgerenergie gibt es wohl nicht, meint Nina Scheer und plädiert dafür, dass die Politik wieder Lernen und Vielfalt und damit Innovationen zulässt. (Foto: Geralt/Pixabay; Porträtfoto Nina Scheer: Joachim Röttgers/Graffiti/Büro Nina Scheer)
Wo sehen Sie die Zukunft der Bürgerenergie – eher in klassischen Genossenschaften und Gemeinschaftsprojekten oder eher in individuellen Prosumer-Lösungen, wo Bürger selbst Strom erzeugen, diesen möglicherweise untereinander handeln und verbrauchen?
Ich halte eine möglichst große Dezentralität für den zielführenden Weg. Abhängig vom Energiebedarf und den jeweiligen räumlichen Möglichkeiten zur Energieerzeugung wird es regional unterschiedliche Antworten geben.
Solange wir aber noch keinen fairen Energiemarkt haben, sind Anreiz-Instrumente wie etwa ein Mieterstrommodell wichtig. Prosumer-Lösungen müssen aber auch den Anforderungen der Solidargemeinschaft genügen. Von den künftigen Rahmenbedingungen für Netze und den daran geknüpften Finanzierungs- sowie Instandhaltungslösungen wird letztlich abhängen, welche Lösungen vor Ort realisierbar sind.
Bürgerenergie-Projekte sollen nicht nur Ökostrom liefern, sondern auch Wärme und Mobilität als umweltfreundliche Dienstleistung anbieten. Übernehmen sich da die Projekte nicht?
Ich halte diese Angebote für möglich und sie werden anwachsen. Eine Kombination von Strom und Wärme ist ja schon recht weit verbreitet. Angefangen mit heute abgeregeltem Windstrom kann es schnell gelingen, auch die Mobilität einzubeziehen. Aber man sollte nicht bei abgeregeltem Strom stehenbleiben.
Auch bei der Bürgerenergie wird es – wie in anderen Bereichen – Projekte und Konzepte geben, die gelingen, und solche, die nicht gelingen. Es ist ein von sich selbst lernendes System. Die politische Aufgabe ist es dabei, Lernen und Vielfalt zuzulassen. Denn darin steckt der Schlüssel für Innovation und Entwicklung sowie einer breiten Mitgestaltung. Je größer der Kreis der Akteure ist, desto eher wird dabei auch der Umgang mit Energie in unser gesellschaftliches Bewusstsein vordringen.