Von der „Zauntankstelle“ zum Insel-Netz

Am Anfang, erinnert sich Inselwerke-Vorstand Rene Tettenborn, war da nur eine Idee, die Steckdose „nach außen zu kehren“, aus dem Haus an die Straße zu bringen. „Zauntankstelle“ nannten sie das Konzept und heimsten 2014 dafür einen Preis beim Wettbewerb „nachhaltig mobil – kann jeder?“ des Landes Mecklenburg-Vorpommern ein.

Das „Tanken“ sollte nach der Idee der Energiegenossenschaft Inselwerke eG so funktionieren: Privatleute installieren auf ihren Hausdächern oder Carports Solarstrommodule und stellen den Strom dann praktisch vor dem Haus zum Aufladen für andere bereit. Das Finanzierungsmodell dafür klang kompliziert, aber nicht deswegen hat sich die „Zauntankstelle“ dann doch nicht durchsetzen können. Vielmehr habe, bilanziert Tettenborn, unter anderem der Umstand gestört, dass dann mitunter stundenlang – so lange wie das Aufladen eben dauert – fremde Autos vor den Häusern gestanden hätten – und das auch noch nachts.

Matthias Gründling/ Inselwerke eG

Die Idee, auf ihrer Ostsee-Insel ein umweltfreundliches Mobilitätsangebot zu schaffen, ließ den Genossenschaftern aber keine Ruhe: Usedom ist eine der sonnenscheinreichsten Regionen Deutschlands, im Sommer kommen die Touristen in Scharen und erfreuen sich an der ursprünglichen Natur. Die äußeren Zutaten für eine solarstromgetriebene Mobilität sind gegeben. „Wo – wenn nicht hier?“, sagten sich die Inselwerker – und hatten am Ende Erfolg.

Heute betreibt die Genossenschaft an 13 Standorten insgesamt 18 Ladestationen, die meisten davon auf der Insel sowie weitere in Wolgast, in Libnow nördlich von Anklam und in Nechlin bei Pasewalk. Letztere liegt gut 140 Kilometer von Berlin entfernt, die Station in Libnow dann etwa bei Kilometer 200 in Richtung Usedom. Die Abstände genügen, damit es jedes E-Auto aus der Hauptstadtregion bis auf die Sonneninsel schafft.

Das hat sich herumgesprochen. Inzwischen buchen E-Auto-Besitzer bewusst Unterkünfte auf der Insel – und umgekehrt werben Hotels mit ihrer hauseigenen Stromtankstelle.

Ihrer kooperativen Anfangsidee sind die Genossenschaftler dabei treu geblieben. Wer von der Inselwerke eG eine Strom“tanke“ installiert haben will, kann zwischen einer einfachen oder einer Doppel-Ladestation wählen oder sich für einen Carport mit Solarmodulen entscheiden – und muss einen passenden Standort bereit stellen und sich als so genannter „Standortpartner“ an der Investition beteiligen. Besitzer und Betreiber der Ladestation bleibt aber in den meisten Fällen die Inselwerke eG, die auch für mögliche Fördergelder sorgt.

Die „Partner“ der eG – darunter Hotels und Kommunen, aber auch ein Biocafé, eine Kanustation mit Café oder ein Segwayanbieter – kümmern sich dann auch, wenn es kleinere technische Probleme mit „ihrer“ Station gibt, und sie erhalten auch eine eigene Ladekarte. „Nutzer, die selbst keine Karte besitzen und keine App nutzen wollen, können so auch spontan ihr Auto aufladen“, schildert Frank Haney vom Vorstand der Inselwerke eG das Vorgehen.

Meist „tanken“ die E-Auto-Besitzer ihren Strom mit üblichen überregional gültigen Ladekarten. Etwa 90 Prozent der bundesweit gängigen Stromtank-Karten funktionierten an den Ladesäulen der Inselwerker, schätzt die Genossenschaft. Wer auf der Insel lebt und die Ladestationen häufig nutzt, kann von den Inselwerkern auch eine eigene Ladekarte ordern.

Bei den Carports mit Solarmoduldach geht ein Teil des Sonnenstroms direkt an die Ladestation und dann in die Autobatterie, der Rest wird ins öffentliche Netz oder auch direkt vor Ort genutzt – wie bei der Station am Kunsthaus Neppermin von eben diesem.

Am Stromgeschäft mit den überregionalen Ladekarten verdient die Genossenschaft nicht direkt, sie stellt aber für jedes Aufladen an den jeweiligen Standorten eine kleine Gebühr in Rechnung.

Beim Ausbau des Lade-Netzes spielt, das ist die Erfahrung der Inselwerker, persönliches Engagement vor Ort eine große Rolle. So blitzten die Genossenschaftler zunächst in Zinnowitz, einem der zentralen Tourismus-Hotspots Usedoms, ab. Inzwischen aber hat die Gemeinde sich besonnen und Lade-Stationen geordert.

Dabei spielte auch eine Rolle, dass kürzlich, Ende Juni dieses Jahres, im Zinnowitzer Nachbarort Trassenheide die erste Ladestation im Inselnorden eingerichtet wurde. „Wenn besonders engagierte Personen wie eine Kurdirektorin vorangehen, fällt es anderen leichter, die Skepsis gegenüber derart innovativen Projekten abzulegen und sie selbst umzusetzen“, sagt Frank Haney.

Im Sommer wird im Schnitt jeden Tag drei Mal im Usedomer Ladenetz getankt, schätzt er. Strandnahe Stationen werden dabei deutlich stärker genutzt. Inzwischen kommt es ab und zu schon vor, dass sich Kunden am Servicetelefon beschweren, „ihre“ Ladestation sei gerade besetzt. Die Arbeit am Servicetelefon wird wie vieles andere von den Genossenschaftlern noch weitgehend ehrenamtlich erledigt. Ohne eine gehörige Portion Enthusiasmus wäre das nicht möglich.

Geht es nach Frank Haney, sollen sich die Bürgerenergie-Genossenschaften gerade bei der E-Mobilität ins Zeug legen. „Den Stromkonzernen wird es nicht noch einmal passieren, dass sie einen Trend verpassen wie zuletzt bei Solarstrom und bei der Windkraft“, ist sich der Geophysiker sicher.

Seine Vision ist es, bundesweit ein genossenschaftliches Ladenetz zu etablieren. „Jetzt sind noch viele Firmen beim E-Tanken aktiv – ein Zeichen dafür, dass der Markt noch am Anfang steht“, erläutert Haney. Längerfristig könnten sich aber für den Kunden teure Monopole herausbilden. Ein genossenschaftliches Netz von Ladestationen könnte da eine Alternative sein.

Zwar kooperieren die Inselwerke bereits mit der Bürgerwerke eG – einem Zusammenschluss von mehr als 12.000 Bürgerinnen und Bürgern und 70 lokalen Energiegemeinschaften aus ganz Deutschland – um das Usedomer Konzept anderen Genossenschaften bundesweit zur Verfügung zu stellen und im Juni gab es dazu auch eine erste Schulung mit acht anderen Genossenschaften – tatsächlich aber steht eine Energiegenossenschaft, die sich für die E-Mobilität engagiert, noch recht allein auf der Flur.

Matthias Gründling/ Inselwerke eG

Ihr Konzept, das auf regionale Kooperation setzt, lässt sich aber leicht übertragen, meinte die Fachjury des „Bündnisses Bürgerenergie“, das die Inselwerke eG unter die drei Genossenschaften zählte, die jetzt als „Bürgerenergie-Projekt“ des Jahres 2017 geehrt wurden.

Das Projekt der Inselwerke eG verbinde nachhaltige Mobilität und den Ausbau der regionalen Infrastruktur, lobt die Fachjury weiter. Damit werde „eine Stärkung des wichtigen Wirtschaftsfaktors Tourismus erreicht“.

Mit ihrem Erfolg müssen die Inselwerker auch ihr Konzept überdenken. Die Genossenschaft steht wie andere erfolgreiche ihrer Art vor der Entscheidung, ob man wachsen und die Arbeit weiter professionalisieren will. Dafür spricht: Ihr jahrelanges Engagement trägt nun bei bisher skeptischen Verwaltungen Früchte. Auch von der Insel Rügen erreichen die Inselwerker immer dringlichere Anfragen, ob sie denn ihr Modell nicht dorthin verpflanzen können.

Die Zeiten von 2014, als Frank Haney ein einziges E-Auto auf Usedom zählte, sein eigenes nämlich, sind auf jeden Fall vorbei. Derzeit sind auf der Insel rund ein Dutzend E-Fahrzeuge unterwegs, schätzt er, davon die Hälfte privat und die andere Hälfte als Mietfahrzeuge. Und zum „Tanken“ kommen mittlerweile regelmäßig auch polnische E-Taxen über die Grenze.

Weitere Informationen zu der Genossenschaft und ihrem Ladenetz finden Sie auf der Seite der Inselwerke eG.